Empfang zur Spielzeiteröffnung mit Präsentation des Sonderhefts der Zeitschrift dérive (Nr. 84, Sommer 2021) und Vorstellung des Programms von “Place Internationale”.

Place Internationale

2021 jähren sich nicht nur die Aufstände in den Ländern der arabischen Welt und die Occupy-Bewegung zum zehnten Mal. Vor 150 Jahren wurde im Frühjahr 1871 die Pariser Commune ausgerufen: eine urbane Revolution, bei der Männer, Frauen und Kinder für eine neue Form des Zusammenlebens auf die Barrikaden gingen. Für 73 Tage schufen sie ein Modell der Selbstregierung, auf das sich seither zahlreiche Aufstände weltweit berufen. Wie lässt sich das nicht eingelöste Versprechen eines gemeinschaftlichen, selbstbestimmten Lebens, für das die Commune steht, mit aktuellen globalen Konflikten und Formen des Widerstands in Zusammenhang bringen? Welches Wissen und welche Praktiken stehen denen zur Verfügung, die sich für eine andere Gesellschaft jenseits historischer Vorbilder und fragwürdiger Traditionen einsetzen? Place Internationale nimmt das Ereignis der Pariser Commune und den bevorstehenden Umzug des FFT zum Anlass für ein international besetztes, mehrteiliges Stadtlabor.

Stadtintervention und Bildwerkstatt

Am 16. Mai 1871 wurde in Paris die Siegessäule auf der Place Vendôme, die die Feldzüge Napoleons I. verherrlicht, in einem performativen Akt zu Fall gebracht und der Platz in Place Internationale umbenannt. Dieser Säulensturz im Herzen der Stadt wurde vom Maler Gustave Courbet mitinitiiert und ihm im Nachhinein zugeschrieben. Festgehalten in zahlreichen Fotos und Grafiken ist er als Eingriff in den repräsentativen Raum der Macht inszeniert und verweist so auf die Relevanz medialer Praxis und Bildpolitik. Auch heutige Protestbewegungen stürzen Denkmäler, um die herrschende Ordnung symbolisch zu Fall zu bringen. Mit Interventionen, Performances, Installationen und Ausstellungen werden aktuelle politische Inhalte und Bildpolitiken verhandelt.

Der lange Wellenschlag der Commune

Im 21. Jahrhundert tritt offen zu Tage, dass die Folgen der kapitalistischen Wirtschafts- und Lebensweise, die Kämpfe für Selbstbestimmung und die Proteste gegen Rassismus oder die Ausbeutung des Planeten strukturell zusammenhängen. Das Bedürfnis nach neuen Formen politischer Mit- und Umgestaltung ist größer denn je. Schon in den Schriften der Kommunard*innen finden sich feministische, anti-koloniale, anti-rassistische, ökologische und kapitalismuskritische Ansätze: Louise Michel suchte während ihrer Verbannung nach Neukaledonien den Kontakt zur indigenen Bevölkerung, unterstützte deren Aufstand gegen die französischen Besatzer und kämpfte gegen Kolonialismus und Militarismus; Élisée Reclus, Geograph und Anarchist, stellte den Anfängen der industriellen Landwirtschaft Überlegungen zu kooperativen Formen der Verwaltung und Bewirtschaftung gegenüber. – Place Internationale erforscht die Gedankenwelt der Pariser Commune und ihren langen Wellenschlag, der sich bis in die Gegenwart ausbreitet.

Recht auf Stadt

Der Commune ging es auch um städtische Autonomie und die Gestaltung des Alltagslebens. Spuren dieses Denkens und Handelns finden sich in der Forderung nach einem „Recht auf Stadt“ (Henri Lefebvre), in den gegenwärtigen Kämpfen um Wohnungsfragen oder den Diskussionen um urban citizenship. Place Internationale erkundet lokale und regionale politische Aktionsfelder mit einer Reihe von Workshops, Exkursionen und Reading Groups, in denen es um den Austausch von Wissen um widerständige, künstlerische und soziale Praktiken geht.

Eröffnungsabend mit Jochen Becker, Ted Gaier, Gintersdorfer/Klaßen, Moritz Hannemann, Hauke Heumann, Christoph Laimer, Jan Lemitz, Susanne Priebs, Klaus Ronneberger, Christoph Schmidt, Adania Shibli, Kathrin Tiedemann sowie live aus Beirut/Libanon Mona Harb

Manifest gelesen von Ted Gaier und Hauke Heumann