JOHANNA-YASIRRA KLUHS & JAN LEMITZ

Johanna: 2021 bin ich einmal zu diesem Lesekreis in der Planwerkstatt gegangen. Da wurde Lefebvre gelesen, es ging um die Entstehung der Commune in Paris. Lefebvre beschreibt, wie sich die Großstadt Paris in einer Logik der spiralförmigen Verdrängung der Bewohner*innen aus dem Stadtzentrum ergeben hat. Und dass die Revolution dann genau von diesen Rändern der Spirale ausgeht. Die dort lebende Bevölkerung hat im Grunde ihr Recht auf den Kern der Stadt eingefordert. Von der Mitte aus wird regiert und von hier aus wird die Stadt erzählt – in Vergangenheit und Zukunft. Was ich mitgenommen habe, war diese Begriffsunterscheidung im Französischen: ville und cité. Ville eben als die faktisch gelebte und genutzte Stadt der Multitude der Bürger*innen und cité als Verwaltungseinheit und Repräsentationsort.

Jan: In den Fragen nach den Rändern und den Kernen stecken wir ja quasi mittendrin. Das ist eine Alltagserfahrung, wenn man sich zwischen den Städten oder Orten bewegt. Das verändert den Blick, auch auf politisches Agieren: Wenn es im eigenen Erleben nicht mehr nur um die eigene oder die eine Stadt geht, sondern deren Verknüpfungen.

Johanna: Ich bin ja 2021 auch immer von Duisburg aus nach Düsseldorf gefahren zu Place Internationale. Und auf dem Weg habe ich gedacht: Diese beiden Städte sind doch eine Ville! Beziehungsweise werden es immer mehr. Aber gegen Verdrängung wird wiederum innerhalb der offiziell gesetz-ten Städtegrenzen gekämpft. Düsseldorf für Düsseldorf und Duisburg für Duisburg. Und auch gegeneinander. In Duisburg ist das ein großes Thema: Die Düsseldorfer*innen kommen und nehmen uns unsere Stadt weg!

Jan: Auf der Fahrt merkt man, dass die zwei vermeintlich getrennten Städte durch eine Landschaft verbunden sind. Die eigentlichen Städte liegen zwischen dem, was als Peripherie erzählt wird. Die Frage ist, ob die gängigen Narrative, mit denen Stadtzusammenhänge erzählt werden, den Dyna-miken von Wachsen, Abwandern oder Dazuziehen noch gerecht werden.

Johanna: Ich denke: Veränderung kann nur passieren, wenn die Ville sich auf sich selbst und ihre Kraft bezieht. Und dann müssen wir uns eben als eine Bürger*innenschaft verstehen, um gegen die Kompliz*innenschaft der D-D-cités anzukommen, die sich eigentlich gegen die Interessen der Bürger*innen richtet. Ok, wir sollten mal gemeinsam die Städtegrenze überschreiten und auf dem Weg Menschen von hier und dort treffen. Ein Rendezvous zwischen den Aktivist*innen organisieren. „Da gibt’s doch diese U-Bahn!“, meinte Eva Busch. Und dann sind wir beide gemeinsam losgefahren, Jan, in diese Peripherie, die irgendwie das gemeinsame Zentrum von D und D ist.

Jan: Es besteht ein enormes Potenzial darin, sich Orte, Gegenden, Flächen mit neuen, anderen, aufgeschlossenen Blicken zu erschließen.

Johanna: Und da sind wir dann bei Georges Perec, seinen Träumen von Räumen. Tatsächlich spricht er da von einer U-Bahn auf dem Land. Und die gibt’s ja wirklich schon. Genauso wie Hochfeld, wo wir ja am Ende landen werden, im neu eröffneten Zentrum für Kultur. Ich lebe hier ja auch. In Hochfeld kann man beide Tendenzen jetzt schon sehen: ein Modell der radikalen Heterogenität und die Idee von Homogenisierung und Verdrängung. Ich glaube ja, dass viel mehr Lebensklugheit und Nachhaltigkeit in einer selbstbestimmten, auf Gerechtigkeit angelegten Sozialstruktur liegt als in der kapitalistischen Wildnis.

Jan: Alles, was an vermeintlich aufgewerteten Flächen entsteht, scheint entkoppelt und nicht als Teil der Stadt denkbar zu sein. Als Stadt in der Stadt oder als Stadt jenseits der Stadt. Die Internationalität ist bereits da, der Stadtteil ist jung, lebendig, vielschichtig. Alles Attribute, die eher zu angsteinflößend erscheinen, um in irgendwelchen Versionen und Visionen von Planung Kontinuität zu erhalten; ganz im Gegenteil.

Johanna: Und trotzdem wird das eine dann Verwahrlosung und das andere Aufwertung genannt und daraus Politik gemacht. Das einfache Leben entzieht sich aber diesen Zuschreibungen. So etwas ähnliches sagt doch auch Perec: „Auch verbietet uns nichts, uns eine Untergrundbahn auf dem flachen Land vorzustellen oder Dinge auszudenken, die weder Städte noch Dörfer (noch Vororte) wären (es gibt sie schon).”

Johanna-Yasirra Kluhs arbeitet als freie Programm- und Produktionsdramaturgin und entwickelt kollaborative Strategien einer dramaturgischen Praxis.
Jan Lemitz lebt und arbeitet als Fotograf und Künstler zwischen Duisburg und Berlin. Seit 2017 ist Jan Teil der Arbeitsgruppe „Stadt als Fabrik“ am FFT.